ITK-Distributoren gehen neue Wege

 

Konsolidierung im Zwischenhandel

ITK-Distributoren gehen neue Wege

(Quelle: crn.de)

von Samba Schulte, 22.08.2013 

Nicht erst seit der PC-Krise und dem damit einhergehenden Margenverfall im Bereich Hardware stehen alle Geschäftsmodelle im ITK-Zwischenhandel unter erhöhtem Evolutionsdruck. Welche Distributoren braucht der Markt künftig überhaupt noch

Die spektakulären Insolvenzfälle in der Szene der mittelgroßen Distributoren in diesem Jahr bestätigen eine Prognose, die die Distributionsszene seit vielen Jahren begleitet: Der deutsche ITK-Markt ist überdistribuiert, nach dem Leitspruch »Get big, get niche or get out« bereinige sich nun der Markt dieser Vollsortimenter, die im hiesigen Markt lange Zeit erfolgreich im Windschatten der Broadliner agieren konnten. Natürlich trägt dazu die Absatzkrise und der damit einhergehende Margenverfall im Hardware-Bereich bei, schließlich waren die Geschäftsmodelle der »kleinen Broadliner« im Wesentlichen auf den Vertrieb von PCs und entsprechenden Komponenten und Peripherie ausgerichtet. Außerdem setzt der zunehmende Erfolg der preisaggressiven Etailer bei der Klientel der kleinen und mittelgroßen Reseller gerade auch diesen Grossisten zu. Und nicht zuletzt geraten die häufig noch lokal aufgestellten Lieferanten unter Druck, da ihre überregional aufgestellten Hersteller und Kunden verstärkt auf solide finanzierte, global agierende Distributionspartner setzen. »Spezialdistributoren in Massenmärkten, wie zum Beispiel dem Komponenten Markt, werden sich weiter aus den Märkten zurückziehen«, analysiert Tech Datas Geschäftsführer Vertrieb, Marc Müller. Der Manager bestätigt die Sicht vieler Experten: »Deren Geschäftsmodell erinnert oft eher an ein Broker-Geschäftsmodell und die letzten Monate haben hier eine gewisse Endlichkeit dieses Modells gezeigt.«

Aber trotz der erschwerten Bedingungen, die die Fälle B.Com oder Devil/COS für viele Anbieter in diesem Distributionssegment zur Folge hatten, agieren immer noch viele dieser Grossisten erfolgreich. Beispielsweise der Bergheimer Distributor Siewert & Kau, der im vergangenen Geschäftsjahr – auch, aber nicht nur wegen der Insolvenzfälle der Konkurrenten – kräftig zulegen konnte. Geschäftsführer Björn Siewert formuliert die erfolgreiche Überlebensstrategie: »Der Margendruck im Hardwaregeschäft ist bereits seit Jahren unverändert hoch und zudem saisonal unterschiedlich. Wer dynamisch und flexibel am Markt agieren kann, ist in der Lage aus solchen saisonalen Unterschieden Profite zu generieren.« Dynamik und Flexibilität sind wiederum Eigenschaften, welche den großen Distributionsschwergewichten fehlten: »Die Broadliner sind oftmals aufgrund Ihrer Größe und Personalstruktur ineffizient und träge«, hebt Siewert hervor. »Die `Kaufhausstrategie´ kann als endlich bezeichnet werden: Alles aus einer Hand ist bei einem sehr breiten Sortiment einfach nicht optimal darstellbar.« Die Gefahr: Die Kostenstruktur stimmt am Ende nicht mit dem Absatz überein.

 

Marginale Rolle bei Consumer-IT

Tatsächlich unterliegt die Rolle der Broadline-Distribution derselben Marginalisierungsgefahr wie die aller im Markt für Consumer-IT aktiven Grossisten. Einfach gesagt: Hier ist mit vielen Produktgruppen und mit vielen Kunden nichts mehr zu verdienen. Davon bleibt erst recht nicht die TK-Distribution verschont, die häufig noch mit eigenen im Verbund agierenden Ladenketten im Markt präsent ist. Stefan Vitzithum, COO des auf den Consumer-Markt spezialisierten TK-Grossisten Brodos, beschreibt die Anforderungen: »Wir müssen stets unsere Prozesse zu optimieren, sie so schlank wie möglich halten und immer auf die Bedürfnisse der Kunden auszurichten.« So kann der Distributor seinen stationären Händlern beispielsweise einen Kommissionswaren-Service anbieten, bei dem Händler vorrätige Ware erst bezahlen müssen, wenn sie tatsächlich verkauft wurde. Überhaupt sehen die Grossisten in der Optimierung und Weiterentwicklung der Logistik den wichtigsten Punkt, um in diesem Geschäft erfolgreich zu bleiben: »Wir können inzwischen eine Vielzahl von Logistiklösungen anbieten, die weit über das normale Liefern von Produkten hinausgeht, von komplexesten, internationalen Logistikdienstleistungen bis zur Übernahme großer Teile der Logistik und Assemblierung für Hersteller«, erzählt Tech Datas Marc Müller.

Im sich zuspitzenden Konflikt mit den Etailern um eine klarere Verteilung der Lieferantenaufgaben, setzen die Distributoren allein auf die Einsicht der Hersteller. Für Endkunden-Preise bei den Etailern unter dem Distributoren-HEK seien schließlich häufig diese verantwortlich, beobachtet Hans-Jürgen Schneider von DexxIT: »Diese Preis-Asymmetrie entsteht durch Aktionen, Promotions oder Kickbacks, die von den Herstellern direkt an die Etailer oder indirekt über die Distribution ausgeschüttet werden.« Björn Siewert ist sich sicher, dass sich schließlich die Distribution in dem komplexen Zusammenspiel als Zwischenlieferant durchsetzen werde: Denn die Anforderungen hinsichtlich Logistik, Finanzierung und Forecastplanung vieler E-Tailer wollten die Hersteller selbst nicht erfüllen.

 

Neue Märkte erobern

Die häufige Aufforderung vieler Distributoren, Fachändler mögen sich spezialisieren und einem Service-starken Lösungsgeschäft widmen, gilt in gewisser Hinsicht vor allem auch für den Consumer-Vertrieb. Stefan Klinglmair, Geschäftsführer Volume beim Broadliner Also, beispielsweise sagt: »Reseller, die heute noch klassische Consumer-IT-Artikel über ihr Ladengeschäft anbieten, werden Probleme bekommen.« Andererseits könne man zunehmend erfolgreich Lösungsthemen wie Digital Signage im stationären Handel platzieren: »Wir gewinnen mit diesem Thema beispielsweise viele Elektro-Fachhändler hinzu.« Die IT-Distribution folgt der Digitalisierung und ist bereit, neue Märkte zu erobern. Hans-Jürgen Schneider von DexxIT sagt dazu: »Im Consumer-Business sind IT-basierende Produkte und Lösungen wie Smarthome, Smart TV oder Heimvernetzung die Schlüsselsortimente der Zukunft. Das kann ein Vorteil für die klassische ITK-Distribution sein.« Tatsächlich erwarten viele IT-Grossisten zumindest langfristig eine Expansion in angrenzende Märkte, von der braunen und weißen Ware bis hin zum Vertrieb von Energie. Jochen Bless vom Paderborner Distributor ActionIT ist überzeugt: »Die zunehmenden Anforderungen des Handels im Bereich der weißen und der braunen Ware können nur von wenigen Herstellern durch Ihre eigene Logistikkette abgedeckt werden, daher werden diese immer stärker auf die ITK-Distribution zugehen. Zumal einige dieser Hersteller auch große Player im ITK-Markt sind.«

Bald könnten die Distributoren also auch wichtige Lieferanten für Waschmaschinen und Kühlschränke werden. Wie beispielsweise Action, neuer Anteilseigner von Devil und im polnischen Heimatmarkt auch Lieferant für den Markt für braune und weiße Ware. Mit seinen Ambitionen, in Deutschland für Devil eine ähnliche Positionierung einzuführen, stößt der Grossist freilich auf besondere Marktgegebenheiten. »Der Bereich steht erst am Anfang. Hier protektionieren die Hersteller den herkömmlichen Fachhandel noch sehr stark«, erklärt Björn Siewert. Indes erwartet auch er, dass sich diese Marktverhältnisse nicht halten lassen und eine Eintrittsgelegenheit für die IT-Anbieter bieten wird.

 

Auch VADs unter Druck

Zu Recht muss man nun einwenden, dass der Konsolidierungsdruck in der Distribution keineswegs auf die im Consumer-Bereich agierenden Volume-Distributoren beschränkt. Tatsächlich dezimierten die Konsolidierungswellen der vergangenen Jahren insbesondere die Reihen der Spezialdistributoren und VADs in den Technologiebereichen Security, Netzwerke oder Storage. Viele der lokal aufgestellten Nischenanbieter wurden dabei von den global aufgestellten VAD-Riesen wie Avnet und Westcon oder den Broadlinern, die auf der Suche nach Margen-stärkerem Geschäft in diese Bereiche vordrangen, aufgekauft. Diese Riesen werden nie dieselben spezialisierten Fertigkeiten entwickeln, die ein VAD seinen Kunden biete, ist Tome Spasov, Geschäftsführer des Security-VADs überzeugt. »Spezialdistributoren mit lokalem Expertenwissen werden nach wie vor ihre Daseinsberechtigung haben und als `Èarly Adopter´ neue und komplexe Technologien in den Markt bringen«, ist der Ectacom-Chef überzeugt. Auch Jochen Bless, Kenner des Broadline- wie des Spezialdistributionsmarktes, glaubt an die Zukunft der Nischendistribution: »Spezialdistributoren verfügen häufig über Mitarbeiter, deren Know How und Erfahrung in den gehandelten Produktbereichen meist deutlich höher ist, als das der Broadline-Mitarbeiter.« Dagegen glaubt Tech Datas Marc Müller, lange Zeit verantwortlich für die VAD-Sparte Azlan des Konzerns, dass die Ära der reinen Spezialdistributoren zu Ende geht: »In Tiefe und Breite ist unser Modell den reinen VADs aber auch den Spezialdistributoren überlegen.« Nur in sehr spezialisierten Nischen könnten die VADs überleben.

Um tatsächlich einen vollwertigen VAD-Support in den wachstumsträchtigen Lösungsfeldern anbieten zu können, mussten die Broadliner aber kräftig investieren: Neben den Beratungskompetenzen galt es, entsprechende Service-Kapazitäten aufzubauen. Ingram Micro-Chef Marcus Adä bestätigt: »Wir sehen definitiv den Trend, dass Systemhäuser von unseren Vor-Ort-Service-Angeboten und unserem technischen Support profitieren wollen.« Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Reseller den Weg in Richtung Ausbau und Vertiefung ihres Lösungsportfolios gingen, also hin zu einem engeren Zusammenspiel von Server, Storage, Netzwerk, der allgemeinen Infrastruktur und Virtualisierung. »Insbesondere kleinere bis mittelgroße Fachhändler reagieren darauf, indem sie verstärkt Presales- und Consulting-Mitarbeiter der Distribution in ihre Endkundenprojekte einbinden«, meint Adä und fügt hinzu: Dmacht sich der aktuelle Fachkräftemangel bemerkbar. Wollen diese Reseller ihr Team mit technisch versierten IT-Mitarbeitern ausbauen, so ist das für sie oft eine hohe finanzielle Hürde.« Dieser Vor-Ort-Service-Vorstoß der Broadliner kommt erstaunlicherweise just zu einem Zeitpunkt, da einige klassische VADs ihre diesbezüglichen Kompetenzen reduzieren, da sie zu teuer im Unterhalt sind

Auch bei vielen neuen Trends im Lösungsgeschäft überlassen die Distributionsschwergewichte den ersten Schritt nicht mehr den kleinen Lösungsspezialisten. So drängen die Broadliner mit Macht ins Geschäft mit Branchenlösungen. Ingram Micro hat jüngst seine Unternehmensstruktur komplett auf die neue umfassendere Volume-, Value- und Verticals-Strategie ausgerichtet. »Vertikale Märkte, insbesondere der Education- und Healthcare-Bereich, bieten mit ihren ganz spezifischen Anforderungen hohe Wachstumsraten«, ist Michael Wittel, Senior Manager Verticals bei Ingram Micro, überzeugt. Auch im Cloud Computing suchen die Broadliner vermehrt mit eigenen Lösungen eine Neupositionierung, die über die reine Berater- und Vermittlerrolle hinausgeht. Und das, obwohl die tatsächlichen Verdienstmöglichkeiten für die Zwischenhändler noch nicht wirklich geklärt sind: »Einen spürbaren Einfluß der Cloud auf unser Geschäft konnten wir bisher nicht feststellen«, räumt Tech Datas Marc Müller ein.

(Quelle: crn.de)

 

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